Eine Frage der Selbststeuerung
Das FlexAbility-Selbstlern-Training hilft dabei, die Herausforderungen orts- und zeitflexibler Arbeit zu meistern
Bereits vor der Corona-Pandemie zeichnete sich der Trend ab, dass viele Berufstätige zeitweise oder mitunter auch ständig zu verschiedenen Zeiten an verschiedenen Orten arbeiten. Heute ist hybrides Arbeiten mit einer bunten Mischung von Büro- und Heimarbeit in vielen Bereichen nicht mehr die Ausnahme, sondern die Regel. Neben den Vorteilen, die das mit sich bringt, sind aber auch neue Herausforderungen damit verbunden, wenn die Grenzen zwischen Arbeits- und Privatleben verschwimmen. Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) hat deshalb eine Praxishilfe entwickelt, mit der die Selbststeuerung bei orts- und zeitflexibler Arbeit trainiert werden kann: das FlexAbility-Selbstlern-Training. Es soll Berufstätigen Hilfestellungen bieten, um die individuellen Herausforderungen von orts- und zeitflexibler Arbeit zu meistern und bewusst Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben zu ziehen, Pausen und Freizeit erholsam zu verbringen und den Arbeitsalltag effektiv auf gesunde Art und Weise zu gestalten.
Mehr als 1000 Teilnehmende aus den verschiedensten Branchen und Berufsgruppen haben das FlexAbility-Training bereits online erprobt. Dabei konnte die Wirksamkeit zur Förderung von Wohlbefinden, Balance zwischen Arbeits- und Privatleben, Erholung sowie Engagement bei der Arbeit erfolgreich nachgewiesen werden. Wie die Praxishilfe funktioniert und welche Rolle Führungskräfte bzw. Betriebe dabei spielen können, dazu haben wir Prof. Dr. Alexandra Michel, Wissenschaftliche Leitung des Fachbereichs „Arbeitswelt im Wandel“ bei der BAuA, befragt.
ampel: Welche Erkenntnisse haben dazu geführt, dass Sie bzw. die BAuA das „FlexAbility-Selbstlern-Training. Orts- und zeitflexible Arbeit gesund gestalten“ entwickelt haben?
Prof. Dr. Alexandra Michel: Die Arbeit hat sich gewandelt, besonders durch die zunehmende Digitalisierung. Verstärkt durch die Corona-Pandemie hat das Homeoffice und damit das orts- und zeitflexible Arbeiten zugenommen. Aus der Forschung wissen wir: Das geht mit vielen Herausforderungen einher. Grenzen zwischen Lebensbereichen verschwinden, es kommt zu entgrenzten Arbeitszeiten: Die Menschen arbeiten länger, machen weniger Pausen, haben weniger Erholungszeiten. Ihnen fällt es schwerer, von der Arbeit abzuschalten und sich zu regenerieren. Darunter leidet die Leistungsfähigkeit, die Folge ist auch eine geringere Zufriedenheit mit der Work-Life-Balance.
Wir von der BAuA haben gesehen: Es bedarf Strategien und Interventionen, die Berufstätige dazu befähigen, mit diesen Herausforderungen umzugehen. Den Arbeitgebenden sind bei der gesundheitsförderlichen Gestaltung der Arbeitsbedingungen in dieser Hinsicht bei der orts- und zeitflexiblen Arbeit ein Stück weit Grenzen gesetzt. Die Beschäftigten selbst müssen ihre Selbststeuerungskompetenz fördern, um die Herausforderungen im Alltag zu meistern, z. B. Grenzen zwischen Lebensbereichen zu setzen oder Pausen zu machen.
ampel: Nach welchen Kriterien wurde das „FlexAbility-Selbstlern-Training“erstellt?
Prof. Dr. Alexandra Michel: Basierend auf wissenschaftlichen Erkenntnissen und Theorien zur Selbststeuerung, sprich die Fähigkeit, eigene Gedanken, Gefühle und Verhalten auf ein bestimmtes Ziel hin auszurichten und zu steuern. Zusätzlich haben wir zentrale Herausforderungen identifiziert. Etwa die Möglichkeit, fokussiert arbeiten zu können, Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben zu ziehen, abschalten zu können, Pausen und Freizeit entsprechend planen und gestalten zu können. Dann haben wir überlegt, wie wir die Personen erreichen können, und haben ein sechswöchiges Onlinetraining konzipiert. Dafür haben wir erprobte Interventionen zusammengetragen und auf unseren Kontext angepasst. Eingebaut haben wir noch verschiedene Elemente, die das Training erleichtern sollen, z. B. eine begleitende Moderatorin, Audios, die dabei helfen, sich darauf einzulassen, und die persönlichen Geschichten von Beispielpersonen. Dann gibt es da noch das „Wachstumssymbol“, das den Teilnehmenden aufzeigt, wie sie selber „erblühen und wachsen“. Das sind alles Gestaltungselemente, dadurch macht es auch Spaß.
ampel: Wieso haben Sie die Form eines Selbstlern-Trainings gewählt?
Prof. Dr. Alexandra Michel: Weil wir damit die Menschen schon während der Pandemie sehr gut erreichen konnten und das Selbstlern-Training es ihnen möglich macht, das Gelernte direkt in ihren Arbeitsalltag einzubauen.
ampel: Wie viel Zeit benötigt es, das Selbstlern-Training zu durchlaufen? Ist es schwer, am Ball zu bleiben?
Prof. Dr. Alexandra Michel: Das Training ist auf sechs Wochen angelegt. Auf die Woche verteilt sind etwa 90 bis 120 Minuten Zeit notwendig: Am Ende der Woche ist es etwa eine Stunde zur Bearbeitung des Moduls, hinzu kommen 10 bis 15 Minuten täglich. Das ist eigentlich gut machbar. Es war uns ja auch wichtig, dass es ein niederschwelliges Angebot ist. Wir haben sehr viel positives Feedback bekommen. Und wir sehen auch, dass das Training positive Effekte erzielt. Nichtsdestotrotz gibt es einen gewissen Anteil von Personen, die aufhören. Und es haben sicher nicht alle alles gemacht.
ampel: Sollten die Betriebe ihren Beschäftigten mit orts- und zeitflexibler Arbeit die Teilnahme am FlexAbility-Selbstlern-Training aktiv empfehlen?
Prof. Dr. Alexandra Michel: Das wäre unsere Empfehlung. Da es in Deutschland auch viele internationale Beschäftigte gibt, bieten wir das FlexAbility-Selbstlern-Training jetzt auch in englischer Sprache an.
ampel: Wie können Führungskräfte bzw. Betriebe die Beschäftigten in der Selbststeuerung bei der orts- und zeitflexiblen Arbeit dauerhaft unterstützen?
Prof. Dr. Alexandra Michel: Sie können es erst einmal zum Thema im Team machen, z. B. Erreichbarkeitszeiten im Team vereinbaren. Als Führungskraft sollte man auch ein Vorbild sein, etwa am Abend keine E-Mails mehr versenden. Übrigens: Ergänzend zum FlexAbility-Selbstlern-Training haben wir von der BAuA auch ein Teamtraining entwickelt, das Teams dazu befähigen soll, gemeinsame Ziele zur Verbesserung der Zusammenarbeit bei orts- und zeitflexibler Arbeit zu erreichen. Das Konzept der Gruppentreffen und Team-Workshops soll noch in diesem Jahr als Buch veröffentlicht werden.
Hier geht es zum FlexAbility-Selbstlern-Training:
https://www.baua.de/DE/Angebote/Publikationen/Praxis/A110.html
Kennen Sie auch schon den Homeoffice-Guide der Unfallkasse RLP? Er bietet Verantwortlichen, Führungskräften und Beschäftigten vielfältige Tipps und Anregungen zum gesunden Arbeiten von zu Hause aus:
https://www.ukrlp.de/sicherheit-gesundheitsschutz/gesundheit-im-betrieb/homeoffice
Sie haben Fragen?
Bei fachlichen Fragen wenden Sie sich bitte an Helin Dogan, Leiterin des Fachbereichs Gesundheit, Kultur und Arbeitsfähigkeit bei der Unfallkasse Rheinland-Pfalz:
E-Mail: h.dogan@ukrlp.de, Telefon: 02632 960-2730