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Unfallkasse Rheinland-Pfalz | Sabrina Busch: Paralympics Paris


Einmal Paralympics und zurück

Sabrina Busch präsentiert ihr „Journal de Paris“

Es ergab sich an einem sonnigen Dienstagmittag Ende August, dass mich meine Freundin an ihre Reise am kommenden Wochenende nach Paris erinnerte. Sie hatte die Reise zu den Paralympischen Spielen schon lange geplant und fügte beiläufig hinzu: „Komm‘ doch auch!“

Ich hatte keine Gegenargumente – es war zeitlich machbar, es passte fast magisch in meinen Terminkalender, und es gab sogar noch ein rollstuhlgerechtes Hotelzimmer. Also entschloss ich mich kurzerhand, zwei Nächte in der französischen Hauptstadt zu buchen. Einerseits, um mir vielleicht doch noch das eine oder andere paralympische Event anzusehen und mich meiner Freundin anzuschließen, andererseits aber auch aus dem einfachen Grund, dass ich Paris liebe.

Ich romantisiere Paris. Ich stelle mir regelmäßig vor, in einem Paralleluniversum tagsüber als Floristin im berühmten Pariser Stadtviertel Montmartre zu arbeiten und mich nachts meinen Romanprojekten hinzugeben. Ich stelle mir vor, wie ich auf der Suche nach Inspiration durch die malerischen Straßen schlendere und verträumt das Schimmern der Seine im Mondschein betrachte … So ungefähr eben.

In der Realität steckt aber bereits im Namen Montmartre mein größtes Problem: „Mont“ heißt „Berg“. Da würde ich nicht herumschlendern, sondern keuchend meine Lebensentscheidungen verfluchen, während ich übers Kopfsteinpflaster stolpere und mir meine Handgelenke kaputtmache. Aber, oh wie schön kompliziert ist meine Beziehung zur Stadt der Liebe?

In diesem Universum ist mir jedoch sehr wohl bewusst, dass Paris für mich als Rollstuhlfahrerin nicht immer leicht zu bewältigen ist. Als ich aber mein Hotel im Viertel Saint Germain de Prés buchte, war mein einziger Anspruch an diesen Kurzurlaub, Croissants zu essen, Notre Dame anzuschauen und Kaffee mit meiner Freundin zu trinken. Das schien machbar. Leider waren die Rollstuhltickets für die Spiele, die ich mir anschauen wollte, bereits ausverkauft, sodass ich zwar verpassen würde, als Zuschauerin live bei den Paralympischen Spielen dabei zu sein, aber die Atmosphäre in der Stadt trotzdem erleben konnte.

Hätte ich mich frühzeitig um Tickets gekümmert, wäre es über die „Paris 2024 Tickets“-App gar kein Problem gewesen, Rollstuhlplätze zu buchen. Laut Webseite gab es sogar Shuttle-Services, die die Menschen mit Ticket zu den verschiedenen Sportstätten gebracht haben. Straßen waren teilweise für den öffentlichen Verkehr gesperrt, Buslinien wurden verlegt; auf der Autobahn, die die Außenbezirke mit der Innenstadt verbindet, war eine Spur nur für autorisierte Fahrzeuge reserviert. Viele der Sportstätten liegen mehr als eine Stunde voneinander entfernt, sodass die Infrastruktur daran angepasst werden musste.

An diversen öffentlichen Plätzen waren kostenlose Public-Viewing-Bereiche eingerichtet. Der größte, den ich selbst gesehen habe, befand sich auf dem Paltz vor dem Pariser Rathaus. Dieser Public-Viewing-Bereich trug den schönen Namen „La Terrasse de Jeux“ – „Die Terrasse der Spiele“. Hier konnten die Besucherinnen und Besucher Sportarten selbst ausprobieren, zum Beispiel Rollstuhlbasketball oder Tischtennis. Der Untergrund war aus einem glatten Material, eine Rennbahn verlief einmal um die gesamte Fläche, und auf zwei großen Bildschirmen konnten wir die Wettkämpfe verfolgen. Wasserdampf, kostenloses Trinkwasser und öffentliche Toiletten standen zur Verfügung und waren sichere und gut ausgeschilderte Anlaufplätze für alle.

Viele Menschen mit sichtbarer Behinderung und Hilfsmitteln kennen vielleicht das Gefühl, die einzigen im öffentlichen Raum zu sein – dass im Restaurant plötzlich das Servicepersonal oder andere Gäste nervös werden und unbeholfen Stühle rücken; oder dass der Busfahrer genervt vom zeitlichen Aufwand ist, die Rampe auszufahren. Doch während der Paralympics saß ich abends zufällig mit zwei anderen Rollstuhlfahrern in der Crêperie – und nein, ich kannte sie nicht ... Die Busfahrer fuhren den lieben langen Tag Rampen aus und wieder ein, manche Restaurants hatten sogar die mobilen Rampen schon positioniert. Wir alle waren alle Teil des Stadtbilds, mit und ohne Behinderung. Das war schön!

Die Freundin, die mich zu dem Trip animiert hatte, Katja Froeschmann, Sport-Inklusionslotsin des Landessportbunds Rheinland-Pfalz*, war im Gegensatz zu mir im Besitz von Tickets und verfolgte die Disziplinen Sitzvolleyball und Leichtathletik. Die Organisation um die Sportstätten herum scheint gut durchdacht gewesen zu sein. So schickte sie mir Fotos von eindeutigen Beschilderungen und taktilen Leitlinien für Menschen mit Sehbehinderung. Zudem gab es „Volunteers“ (Freiwillige), die Mobilitätsassistenz anboten. Dazu, ob die Anzahl der Zuschauerplätze für Rollstuhlfahrende erhöht worden war, konnte ich leider keine genauen Angaben finden. Aber den Fotos aus dem Stade de France nach zu urteilen wurden weitere Bereiche zur Verfügung gestellt.

Meine Freundin Katja beschrieb die Stimmung in den Stadien als „mitreißend und unvergesslich“. Sie berichtete davon, dass im Stade de France alle zusammen das Chanson „Les Champs Élysées“ sangen und der französische Fanblock den deutschen Kugelstoßer Nico Kappel anfeuerte. Wenn alle zusammen Erfolge feiern, ist alles richtig gelaufen – dann hat der Sport das geschafft, was oft so schwierig erscheint: Menschen länderübergreifend zu verbinden.

Kritik habe ich während der Paralympics vor allem auf Instagram mitbekommen. Etwa, wenn in den Medien mehr über die Behinderung der Sportlerinnen und Sportler gesprochen oder „Inspiration-Porn“ (siehe meine Kolumne „Lebst du noch oder inspirierst du schon“) betrieben wurde. Nach den Paralympics ging noch ein Video viral, in dem behindertenfeindliche Aussagen unter dem Deckmantel von Humor geäußert wurden. Während einerseits Vielfalt, Inklusion und sportliche Höchstleistungen gelebt wurden, zeigten diese medialen Debatten wieder einmal auf, dass es noch viel zu tun gibt. Der Aufschrei nach Konsequenzen für diejenigen, die sich öffentlich behindertenfeindlich geäußert hatten, macht mir Hoffnung, dass durch die Vernetzung und den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft immer deutlicher wird, dass Intoleranz keinen Platz in einer Demokratie hat. 

Aber in Paris wurden mir keine übergriffigen Fragen gestellt. Ich wurde nicht lange angestarrt, ich wurde nicht mit Augenrollen oder Resignation begrüßt, und das Miteinander war sehr angenehm und entspannt. Das waren zwei Tage in einer Millionenstadt während der Paralympischen Spiele. Mir ist bewusst, dass dies eine sehr besondere Situation war, und trotzdem habe ich die Hoffnung, dass genau solche Ereignisse maßgeblich dazu beitragen, das Miteinander zu normalisieren und die Barrierefreiheit voranzutreiben: Deren gesetzliche Verankerung ist ein wichtiger Schritt hin zu einer inklusiven Gesellschaft. Sobald gesetzlich sichergestellt wird, dass auch die Privatwirtschaft zur Barrierefreiheit verpflichtet ist, werden Teilhabe und Gleichberechtigung möglich.

* Katja Froeschmann unterstützt Vereine und Menschen mit Behinderung, die inklusive Sportangebote anbieten bzw. nutzen möchten, bei der Suche und beim Aufbau neuer Projekte. Mehr Informationen dazu gibt es auf der Webseite Einfach gemeinsam – Inklusion im Sport“ des Landessportbunds Rheinland-Pfalz.

Ein Artikel darüber, wie das Olympische Dorf barrierefrei(er) gemacht wurde, findet sich auf der offiziellen Webseite der Olympischen Spiele.

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