Sportunterricht inklusiv gedacht

WidiS hilft Lehrkräften dabei, Vielfalt unter einen Hut zu bekommen

Vier Frauen halten je einen Zipfel einer aufgespannten Decke und katapultieren damit einen Ball in die Luft.
Deckenball: Mit einem guten Miteinander und etwas Geschicklichkeit wird eine lustige Sportlektion draus. Foto: Anette Thelen/UK RLP

Eine Fleecedecke, vier Menschen, ein Ball: Mit einem guten Miteinander und etwas Geschicklichkeit wird eine lustige Sportlektion daraus – „Deckenball“. Sieht nach Schulsport aus – und ist es auch. „WidiS“ – „Wege in den inklusiven Schulsport“ – steht in der Sporthalle am Standort der Unfallkasse in Andernach auf dem „Stundenplan“. Und die versammelten Sportlehrkräfte legen sich ganz schön ins Zeug, um am Ende der Fortbildung die Unterrichtserlaubnis für den Sportförderunterricht zu erhalten.

Doch WidiS ist noch viel mehr: Ziel der groß angelegten Veranstaltungsreihe – ein Gemeinschaftsprojekt vom Ministerium für Bildung in Mainz, der Aufsichts- und Dienstleistungs-Direktion (ADD), dem Pädagogischen Landesinstitut in Speyer und der Unfallkasse Rheinland-Pfalz (UK RLP) – ist es insbesondere, „fachfremd“ unterrichtende Lehrkräfte an Grund- und Schwerpunktschulen in der Primar- und Sekundarstufe I bei der Planung und Durchführung eines inklusiven Sportunterrichts zu unterstützen.

Ziel: Lernerfolge für alle

Viele Menschen sitzen (von hinten gesehen) an Tischen und hören einem Vortragenden zu. einem
Vor der Praxis kommt auch bei WidiS die Theorie. Foto: Petra Ochs/UK RLP

Wichtig zu wissen: Inklusiver Sportunter­richt bezieht sich nicht nur auf Schülerinnen und Schü­ler mit Beeinträchtigungen, sondern auf alle Kinder und Jugendlichen, die von Ausgrenzung und fehlender Teilhabe bedroht sind. „Ziel ist es, das Ver­ständnis für Vielfalt zu fördern und davon zu profitieren“, sagt Stefan Kölsch, Schulsportreferent der ADD in Koblenz. Den Sportlehrkräften kommt dabei eine entscheidende Rolle zu: Sie stellen sich der Herausforderung, „zielgleich“ zu unterrichten, während sie alle Verschiedenheiten berücksichtigen und sowohl leistungsstarke als auch weniger sportliche Kinder und Jugendliche ansprechen.

Schulklassen sind eben heterogen – nicht erst seit dem bildungspolitischen Auftrag, Inklusion in der Schule zu verankern. Schon immer gab es unterschiedliche körperliche Voraussetzungen, sportliche und unsportliche, leistungsstarke und lernschwache Kinder, die alle danach streben, die gleiche Messlatte zu erreichen. Das führt oft zu Enttäuschungen und Frustration, denn Erfolgserlebnisse haben nur diejenigen, die die gesteckten Ziele auch erreichen. Dabei liegt es auf der Hand, dass bei ungleichen Voraussetzungen nicht gleiche Leistung erwartet werden kann. Alle Schülerinnen und Schüler sollten sich mit ihren Fähigkeiten in den Unterricht einbringen und Lernerfolge erzielen können.

Mit Kreativität und frischen Ideen zu neuen Ufern

Zwei Frauen stehen sich in der Sporthalle gegenüber. Die eine legt der anderen Frau behutsam einen Bierdeckel auf den Kopf.
Eine Schwierigkeit bei der Übung: Fällt der Bierdeckel vom Kopf, darf er nicht selbst aufgehoben und wieder aufgesetzt werden – das muss jemand anderes übernehmen, der oder die selbst noch einen Bierdeckel auf dem Kopf trägt. Foto: Petra Ochs/UK RLP

Aber wie? WidiS zeigt in mehreren, über ein Jahr verteilten Fortbildungsmodulen ganz konkrete Wege auf und unterstützt so vor allem Lehrerinnen und Lehrer, die „fachfremd“ unterrichten, also nicht selbst Sport studiert haben. Während diese für ihre Fortbildungspraxis heute in der Sporthalle der IGS in Plaidt versammelt sind, machen sich in der Andernacher Sporthalle die studierten Sportlehrkräfte daran, Best-Practice-Beispiele für den Sportförderunterricht kennenzulernen. Dafür haben sie Lehrproben aus ihrem Unterricht mitgebracht.

Den Anfang macht Sportlehrerin Christina. Sie erklärt, worum es geht: Aufgabe ist es, mit einem Bierdeckel oder Ähnlichem auf dem Kopf schweigend durch die Sporthalle zu schlendern. Wer möchte, kann dabei auch Hindernisse überwinden oder über Bänke balancieren. Das Knifflige dabei ist, den Kopf immer gerade und stabil zu halten. Nicht alle kriegen das hin. Und an dieser Stelle ist dann auch die zweite Schwierigkeit eingebaut: Fällt der Bierdeckel vom Kopf, darf er nicht selbst aufgehoben und wieder aufgesetzt werden – das muss jemand anderes übernehmen, der oder die selbst noch einen Bierdeckel auf dem Kopf trägt. Ganz wichtig: Nicht sprechen dabei!

Was machen die WidiS-Teilnehmenden aus der Aufgabenvorgabe? Einen skurrilen, stillen Tanz, bei dem die Bierdeckel immer mal wieder zu Boden fallen und so die Chance für Kooperation und stumme Kommunikation bieten. „Wer möchte, kann auch mal probieren, auf den Zehenspitzen oder rückwärts zu gehen“, schlägt die Ideengeberin vor und erntet kurz darauf viel Lob von ihren Mitstreiterinnen und Mitstreitern. „Find ich gut – mal ganz konzentriert und fokussiert“, meint eine der Sportlehrkräfte.

Mehrere Frauen laufen durch die Sporthalle. Auf dem Kopf balancieren sie jeweils einen Bierdeckel oder ein Körnersäckchen.
Foto: Anette Thelen/UK RLP

Miteinander und voneinander lernen

Mit einem „Dankeschön“ leitet der Referent zur nächsten Lehrprobe über, bei der eine rote Lautsprecherbox auf dem Sporthallenboden das erste Wort hat: „Willkommen an Bord, wagemutige Forscher“, begrüßt eine außerirdisch-verzerrt klingende Stimme die Sportlehrkräfte, die sich auf eine Expedition zur Monsterinsel begeben sollen: „Seid ihr bereit, euch als Team dieser Herausforderung zu stellen?“ Klar, das sind sie. Blöd nur, dass sie in einen Sturm geraten, bei dem ihr Schiff auseinanderbricht. Von blauen Turnmatten aus – den Resten des Schiffes – machen sie sich auf zu neuen Ufern.

Eine Gruppe Menschen in der Sporthalle bewegen sich auf vor ihnen ausgelegten Teppichfliesen von einer Seite der Halle auf die andere.
In einem spannenden Wettbewerb bahnen sich zwei Teams Fliese für Fliese ihren Weg zur Monsterinsel. Foto: Petra Ochs/UK RLP

Und zwar mithilfe von „Wrackteilen“ (Teppichfliesen), die sie vor sich im „Meer“ auslegen. Aber Achtung: Niemals den Körperkontakt zur Fliese verlieren, sonst schwimmt sie davon! In einem spannenden Wettbewerb bahnen sich zwei Teams Fliese für Fliese ihren Weg zur Monsterinsel. Hier angekommen, gibt es noch weitere sportliche Abenteuer mit Bären, Monsterspinnen und Co. zu bestehen.

Das macht natürlich Spaß. Doch was hat das alles mit Inklusion zu tun? Eine Menge, weiß Julian Mädrich, WidiS-Verantwortlicher bei der UK RLP. „Denn als ‚Bewegungsfach‘ eröffnet der Sportunterricht vielfältige Lern- und Erfahrungsräume, bei denen neben dem sportlichen Wettbewerb vor allem das Miteinander- und Voneinan­der-Lernen im Vordergrund steht.“ Gerade hier verstehe sich In­klusion als Form des Umgangs mit der individuellen Einzigartigkeit und der gleichzeitigen Verschiedenheit von Menschen – im Bewusstsein, dass jedes Kind und jeder Jugendliche ganz eigene Potenziale hat, die es wahrzunehmen und wertzuschätzen gilt.

Frank Kühn, Projektverantwortlicher beim Pädagogischen Landesinstitut, ergänzt: „Bei der Umsetzung des WidiS-Modells sind vor allem Kreativität und Mut zu unkonventionellen Lösungen gefragt. Denn am Ende geht es darum, jedem Schüler, jeder Schülerin das passende Angebot zu unterbreiten, um eine gleichberechtigte Teilnahme am Sportunterricht zu ermöglichen.“ Idealerweise kämen dabei maßgeschneiderte und individualisierte Lernangebote und Lerngelegenheiten heraus, bei denen ganz nebenbei auch wichtige soziale Kompetenzen ge­fördert werden.

Im Oktober 2024 startet eine neue Runde des Fortbildungsangebots WidiS. Dafür wurden die im Land bekannten Fortbildungsreihen MOQS (Modulare Qualifikation im Fach Sport in der Primarstufe), SFU (Sportförderunterricht) und WidiS zusammengeführt, um diese vor dem Hintergrund des neu entwickelten „Rheinland-pfälzischen Modells für den Schulsport“ einander anzunähern und Synergien zu erzielen. Die Anmeldung zu WidiS IX ist ab Sommer 2024 über das Pädagogische Landesinstitut Rheinland-Pfalz (https://evewa.bildung-rp.de) möglich. Weitere Informationen gibt es unter www.widis.net.

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