Sabrina Busch: Mein Modekompass
Wie kann ich meinen Alltag erleichtern, wenn mich das System, in dem ich lebe, nicht mitdenkt?
Diese Frage stellt sich mir eigentlich in allen Lebenssituationen. Kleidung scheint für viele vielleicht ein banales Beispiel zu sein, andererseits tragen wir sie den ganzen Tag jeden Tag, und auch wenn sie nicht dazu dienen soll, die eigene Persönlichkeit auszudrücken, muss sie wenigstens funktional sein. Diese Funktionalität ist für alle unterschiedlich: Alltag, Berufsleben, Empfindungen, Behinderungen, das alles setzt bestimmte Ansprüche voraus.
Weil ich mich hin und wieder gerne mit Kleidung beschäftige, möchte ich beides: Funktionalität und Ausdruck.
Um im System zu navigieren, in dem Kleidung weder für Menschen mit Behinderung kreiert, noch in deren Alltagssituationen dargestellt wird, für mich z. B. sitzend in einem Rollstuhl, habe ich folgendes Schema um Outfits zu finden, die zu mir und meinem Alltag passen:
1. Crop Tops – also kurze Oberteile
Bei der Suche nach Oberteilen und Jacken sortiere ich sofort alles aus, was über den Po fällt. Der Stoff staucht sich im Sitzen einfach nur um meine Hüfte herum und steckt im schlimmsten Fall unter dem Kleidungsschutz und an den Rädern fest. Wenn das Oberteil, das ich unbedingt „brauche“ länger ist, muss es zumindest in die Hose etc. gesteckt werden können.
Crop Tops, die besonders kurz sind, also meistens nur knapp über den Bauchnabel fallen, sind ideal, denn abgesehen von dem Vorteil, dass kein überflüssiger Stoff im Weg ist, kreiert das kurze Oberteil auch eine gute Aufteilung meines sitzenden Körpers. Schlagwörter wie „cropped“ helfen, wenn man das Online-Angebot entsprechend filtern möchte.
2. Hosen
Ein angsteinflößender Trend macht gerade auf sich aufmerksam: Die Hüfthose kommt zurück. Diese tief sitzende Hose fand ich schon immer schrecklich, aber jetzt, sitzend im Rollstuhl, ist es noch wichtiger, eine hochgeschnittene Hose zu tragen. Wenn der Bund bis an den Bauchnabel geht, high-waisted genannt, bin ich zufrieden. Je nach Sensibilität und Druckstellengefahr ist es wichtig, auf Material, aufgenähte Taschen oder Nieten im Gesäßbereich zu achten.
Trends, die mir zugutekommen, sind Hosen mit ausgestelltem Bein wie z. B. die Schlaghose, die Culotte oder Boyfriend Jeans. Diese werfen zwar manchmal aufgrund des weiten Stoffes unschöne Falten in der Kniegegend, aber es gibt durchaus Modelle, die an den Oberschenkeln enger sind und erst ab den Knien weiter werden.
Männer, die im Rollstuhl sitzen, haben mir vermehrt berichtet, dass die regulären Männerhosen kaum so hochgeschnitten sind, dass sie noch immer gut sitzen, wenn man im Rollstuhl sitzt und sich bewegt. Bekannte erzählten mir, dass sie deshalb auf Cargo pants umgestiegen sind und ich habe mich gefragt, ob die Boyfriend Jeans aus der Damenkollektion nicht auch eine Lösung sein könnte?
Durch das viele Sitzen bietet es sich außerdem an, Hosen, die aus dickeren, weniger flexiblen Stoffen hergestellt sind, eine Nummer größer zu kaufen oder auf den allseits beliebten Gummizug zurückzugreifen.
Meine Favoriten im Sommer sind Palazzo-Hosen – sie haben einen weichen Stoff, sind luftig und haben in den meisten Fällen einen sehr versöhnlichen Gummibund. Weil meine Beine so schnell auskühlen, habe ich mir für den Winter eine sehr stylische Snowboardhose gekauft, in der ich bei Minusgraden spazieren gehe.
3. Kleider und Röcke
Dadurch, dass ich nicht mal schnell aufstehen und den Stoff richten kann, sind Kleider und Röcke für mich mit Vorsicht zu genießen. Es hilft mir, wenn die Stoffe eher schwer sind und durch ihr Eigengewicht in Form fallen. Bei fehlender Sensibilität können durch dicke Stofffalten jedoch Druckstellen entstehen.
Außerdem tendiere ich zur Midi-Länge, also bis knapp über dem Knie oder zur Bodenlänge. Damit die Proportionen stimmen, achte ich darauf, dass mein Oberkörper durch einen Gürtel oder ein anders verarbeitetes Oberteil etc. optisch deutlich von meinem Unterkörper getrennt wird.
4. Accessoires
Egal ob Sonnenhut, Bommelmütze oder drei miteinander kombinierte Halsketten – Accessoires geben vielen Outfits den letzten Schliff und sind oft der ausschlag-
gebende Grund, warum man auffällt. Ich kleide mich nicht, um aufzufallen, sondern um mich selbstbewusst und gut zu fühlen. Kleidung und eben auch Accessoires können mir dabei helfen, das auszustrahlen, wie ich mich fühlen möchte.
Wenn ich in Sporthose, Kapuzenpulli und Baseballkappe in die Sporthalle komme, fühle ich mich gleich viel sportlicher. Wenn ich in Palazzo-Hose, Bluse und Sommerhut an der Strandbar stehe, setzt sich ein richtiges Urlaubsfeeling ein. Das Gefühl, sich verstecken zu wollen, weil man eh auffällt, aufgrund der Hilfsmittel, die man benötigt, versuche ich abzulegen. Wenn ich auffalle, dann wenigstens aufgrund des Stoffbandes meines Strohhuts, das unbeschwert im Nordseewind weht.
5. Allgemeine Tipps und Tricks
- Vielleicht lohnt sich die ein oder andere Investition in Limited Edition Sneakers, die man dann in ein paar Jahren für viel mehr Geld verkaufen kann, denn die Sohle wird noch immer wie neu aussehen.
- Bei neuen Kleidungsstücken, vor allem Hosen, Schuhen und vielleicht dicken Socken, checke ich immer erstmal in kürzeren Intervallen, ob sich irgendwelche Druckstellen bilden, bevor ich sie über Stunden anziehe.
- Ich habe einen Vorrat an Ellbogen-Flicken, weil ich mich so viel auf den Ellbogen abstütze und meine Lieblingspullis dort am ehesten abgenutzt sind.
- Frauenoberteile sind oft für schmale Schultern und Oberarme geschnitten, ich halte deshalb Ausschau nach Ballon- oder Fledermausärmeln, die geben zusätzlich auch genug Bewegungsfreiheit, um sich mit dem Rollstuhl fortzubewegen.
- Die Suche nach Kleidung in Secondhand-Läden ist zwar meistens zeitaufwendiger, weil sich das Sortiment nicht so leicht filtern lässt, aber diese Schnäppchen und Einzelstücke sind unschlagbar, vor allem, wenn es möglich ist, die perfekte Passform mit der eigenen Nähmaschine zu kreieren oder man ein paar Euro mehr bei Schneidern investieren kann.
Abschließend lässt sich sagen:
Es gibt mittlerweile mehr adaptive Mode auf dem Markt. Die verschiedenen Schließmechanismen etc. werden hoffentlich immer gängiger und Mode für alle Körper jenseits der Schaufensterpuppen üblich.
Die Bewegung „Body Positivity“ – also mit seinem Körper Frieden zu schließen, auch wenn er von normativen Schönheitsidealen abweicht – erreicht hoffentlich auch, dass Menschen mit Behinderung bei der Konzipierung und der Vermarktung von Mode mitbedacht und repräsentiert werden.
Falls ihr noch weitere Tipps habt, könnt ihr sie mir gerne auf Instagram @fraufroschschreibt schicken.
Ich freue mich immer über neue Erkenntnisse!
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Mit der Aktion "Dein Start. Unser Ziel." macht die gesetzliche Unfallversicherung gemeinsam mit den BG Kliniken, dem Deutschen Rollstuhl-Sportverband und dem Deutschen Behindertensportverband auf Menschen aufmerksam, die nach einem Unfall mithilfe der gesetzlichen Unfallversicherung und Sport ihrer Leidenschaft nachkommen.
Weitere Informationen dazu und natürlich das Video mit Sabrina Busch finden Sie auf den Webseiten der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung DGUV.
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