Sabrina Busch: Sichtbar vs. unsichtbar
Die Sache mit der Öffentlichkeitsarbeit
Ende letzten Jahres kam die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung auf mich zu und fragte, ob ich Interesse hätte, bei einer Kampagne zum Thema Rehasport mitzuwirken. Da Rehasport und Physiotherapie ein alltäglicher Bestandteil meines Lebens sind, stimmte ich zu und verbrachte einen Tag mit dem Filmteam und Kampagnenleiter.
Sie folgten mir durch meinen Vormittag in der ambulanten Physiopraxis – manuelle Therapie, Training im Gangroboter und im Geräteraum, inklusive der lustigen Gesprächsrunde mit meinen Trainingskolleginnen und -kollegen.
Nach einer kurzen Mittagspause schwangen sich meine Mutter und ich auf unsere Räder und radelten durch die schönste Herbstsonne, vorbei an den hiesigen Wäldern und Pferdewiesen, gefolgt von einer Drohne, die weiteres Filmmaterial für die Kampagne schoss.
Beim anschließenden Interview darüber, inwiefern mich der Sport bereichert, was er für meinen Alltag bedeutet und was ich daran schätze, fiel mir mal wieder auf, warum ich schreibe. Wie viel leichter es mir fällt, Sätze hin und herzuschieben, anzuordnen und umzuschreiben, um noch mal zu hinterfragen, wie ich mich ausgedrückt habe.
Frei zu sprechen mit drei Menschen, die mich beobachten, einem Mikro am Kragen und einer Kamera nebendran, fiel mir doch schwerer als gedacht. Als die Sonne unterging, war aber dennoch alles im Kasten und wenige Wochen später war aus unserem achtstündigen Tag ein einminütiger Film zusammengeschnitten worden, der all die genannten Aspekte wunderbar aufgreift und darstellt. Für mich ging es danach aber wieder an den Schreibtisch zu Texten, in denen ich zwar auch über eigene Erfahrungen schreibe, aber dennoch eine gesunde Distanz wahren kann.
Die Sache mit der Öffentlichkeitsarbeit ...
... treibt mich jedoch regelmäßig um.
Als ich angefangen habe, Rollstuhlbasketball zu spielen, kamen hin und wieder Anfragen von großen Medienfirmen, die Profile über Menschen mit Behinderung drehen wollten. Aber jedes Mal, wenn ich diese Profile dann im Mainstream-Fernsehen sah, kamen schwarz-weiße Einspieler, traurige Geigenmusik und mitleidige Worte – Sensationsgier. Im schlimmsten Fall endete der fertige Schnitt dann mit einer Art Warnung: So schlimm kann es werden. Oder es schlug in die andere Richtung aus, spielte das Thema Behinderung gänzlich runter, nach dem Motto: „Es gibt keine Behinderung, wenn dein Wille stark genug ist.“
Ich wollte kein Teil dieser Art von Sichtbarkeit sein, weil die Berichte alle in die gleiche Kerbe schlugen, die weder mein noch das Leben anderer Menschen mit Behinderung, die ich kenne, repräsentieren.
Drahtseilakt: Wie viel Persönliches muss ich preisgeben?
In Vancouver machte ich Bekanntschaft mit einem Rollstuhlfahrer, der jeden Tag mehrere Stunden trainierte. Er erzählte mir, dass er bei verschiedenen Medienformaten mitwirkte und darauf pochte: „Man kann alles schaffen, wenn man nur will.“
Er endete seinen Satz mit: „We gotta represent!“ (Wir müssen repräsentieren!).
Und weil ich sofort in Abwehrhaltung gehe, wenn mir andere Menschen vorschreiben, was ich zu tun und zu lassen habe, fuhr ich trotzig nach Hause und dachte mir: Ich muss gar nichts repräsentieren.
Weder die traurige Behinderte, die der Sensationsjournalismus gerne hätte noch die überambitionierte Behinderte, die angeblich alles schafft, nur weil sie den Willen dazu hat.
Mittlerweile schreibe ich selbst Texte über das Leben mit Behinderung und habe an zwei Kampagnen unter der Schirmherrschaft der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) teilgenommen. Ich frage mich, wie all das zusammenpasst und komme zu dem Entschluss, dass mir die Sichtbarkeit von Behinderung in der Öffentlichkeit wichtig ist. Dass das Thema Behinderung noch immer zu sehr am Rande der Gesellschaft stattfindet. Dass man seine Privilegien, die man aufgrund von finanzieller Unterstützung, Bildung oder der banalen Tatsache, in welches System und Land man rein zufällig hineingeboren wurde, nutzen kann, um auf Randthemen aufmerksam zu machen.
Es braucht mehr Akzeptanz, es braucht mehr systematische und strukturelle Barrierefreiheit, braucht mehr Berührungspunkte und Normalität im Umgang zwischen Menschen mit und ohne Behinderung.
Öffentlichkeitsarbeit fühlt sich für mich jedoch auch wie ein Drahtseilakt an, wie viel muss ich von mir preisgeben, zum Zweck einer Berichterstattung, wie viel Persönliches muss ich einbringen, um Gehör zu finden, um meine Lebensrealität sichtbar zu machen, ohne zu viel über das eigene Leben offenzulegen.
Ich wünsche mir, dass mehr Beiträge, mehr behinderte Menschen in der Öffentlichkeit zu sehen sind und die
Lebensrealität von so vielen Menschen in Deutschland sichtbar gemacht wird, die oft fehl- oder unterrepräsentiert bleiben.
Kampagnen wie die der DGUV, die ein bestimmtes Themengebiet abstecken, in diesem Fall den Rehasport, dienen einem Zweck. Sie sind nicht da, um Sensationsjournalismus zu betreiben oder eine grenzüberschreitende Neugierde zu bedienen.
Positive Entwicklung
Im Vergleich zu der Medienlandschaft von vor zehn Jahren bemerke ich eine positive Entwicklung. Vor allem Social-Media-Plattformen wie „Instagram“ und „Youtube“ ermöglichen es Menschen mit Behinderung ihr Leben und ihre Interessen selbst darzustellen, auf ableistische Strukturen hinzuweisen und diese mit einer wachsenden „Followerschaft“ zu diskutieren.
Diese Art von Sichtbarkeit kreiert ein sehr vielfältiges und realistisches Bild und trägt hoffentlich dazu bei, dass die Sichtbarkeit von Menschen mit Behinderung nicht nur im Internet, sondern in allen Bereichen des öffentlichen Lebens zur Normalität wird.
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Mit der Aktion "Dein Start. Unser Ziel." macht die gesetzliche Unfallversicherung gemeinsam mit den BG Kliniken, dem Deutschen Rollstuhl-Sportverband und dem Deutschen Behindertensportverband auf Menschen aufmerksam, die nach einem Unfall mithilfe der gesetzlichen Unfallversicherung und Sport ihrer Leidenschaft nachkommen.
Weitere Informationen dazu und natürlich das Video mit Sabrina Busch finden Sie auf den Webseiten der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung DGUV.
Besuchen Sie Frau Busch auch auf Instagram: @fraufroschschreibt